5.10    Müssen diese Anforderungen wirklich alle umgesetzt werden?

Viele Planer (und leider auch Bauherren) vertreten die Auffassung, DIN 18041 enthalte nur Empfehlungen und müsse nicht eingehalten werden, denn diese Norm sei ja nicht bauaufsichtlich als „Technische Baubestimmung“ eingeführt. Dem ist ganz ausdrücklich zu widersprechen. So heißt es z. B. schon in der BW-Broschüre „Lärmschutz für kleine Ohren, Modellprojekte“ von 2011:

Verglichen mit dem seit langer Zeit geregelten und praktizierten Schallschutz im Gebäude erscheint eine angemessene Raumakustik mitunter auch heute noch als freiwillige Zusatzleistung. Dann werden Begriffe wie Wohlbefinden, Komfort oder gar Luxus verwendet, um der nachrangigen Erforderlichkeit von Maßnahmen Ausdruck zu verleihen. Diese Einschätzung ist falsch und die Vernachlässigung der raumakustischen Ausgestaltung von Kindertageseinrichtungen im Sinne akzeptabler Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen ist fahrlässig.

Auch eine gewisse Unbedarftheit infolge mangelnder Information kann heute nicht mehr als Grund für „vergessene Raumakustik“ dienen, da alle Planer Zugriff auf fundierte Erkenntnisse haben, die einen klaren Einfluss schlechter Raumakustik auf Gesundheit, Behaglichkeit und Leistungsfähigkeit der Nutzer belegen.

 

Rechtliche Grundlagen der Barrierefreiheit

Ausführliche Darlegungen zu den rechtlichen Grundlagen sind in der PDF-Datei eines Vortrages enthalten, der am 14. Januar 2015 zum Entwurf der Raumakustik-Norm beim Deutschen Institut für Normung in Berlin unter dem Titel "Inklusion und Raumakustik in Normung und Recht" gehalten wurde. Kurz gefasst geht es dabei um folgenden Sachverhalt:

1. Normen und Regelwerke, welche als sogenannte „Technische Baubestimmung“ im jeweiligen Bundesland bauaufsichtlich eingeführt sind, müssen beachtet werden. Ansonsten wird die Baugenehmigung nicht erteilt. Diese Normen betreffen die sogenannten „wesentlichen Dinge“. Dazu gehören die Standsicherheit, der Schallschutz, der Wärmeschutz, der Feuchteschutz, also Dinge, die mit dem Gebäude selbst zu tun haben. Leider gehört der Gesundheitsschutz (bisher) nicht dazu.

2. Über diese öffentlich-rechtlichen Anforderungen hinausgehend müssen Planer im zivilrechtlichen Sinne auch alle „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ (a.a.R.d.T.) beachten. Genaueres dazu siehe Kapitel 9.1.

3. Im „Leitfaden Barrierefreies Bauen“ des Bundes-Bauministeriums wird auf Seite 13 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass DIN 18041 eine „allgemein anerkannte Regel der Technik“ ist. Auch aus diesem Grunde ist diese Norm unbedingt zu beachten.

4. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 24 aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, welche durch Ratifizierung der Bundesregierung am 26. März 2009 in Kraft getreten ist. Da Inklusion ein unveräußerliches Menschenrecht ist, kann man die dafür erforderlichen Baumaßnahmen nicht von den Kosten abhängig machen.
https://www.lwl.org/lja-download/datei-download-schulen/UN_Konvention_fuer_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen_Inklusion/Inklusive_Beschulung/Tagungsdoku/1288330256_0/UN-Konvention_Artikel_24.pdf

HBauO § 52 Barrierefreies Bauen (Auszug)

(2) Bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, müssen in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen von Menschen mit Behinderung, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können. Diese Anforderungen gelten insbesondere für

1. Einrichtungen der Kultur und des Bildungswesens,
2. Sport- und Freizeitstätten …

 

Behinderten-Gleichstellungsgesetz (HmbGGbM) §5 Barrierefreiheit (Auszug)

Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen      
1. in der allgemein üblichen Weise       
2. ohne besondere Erschwernis und     
3. grundsätzlich ohne besondere Hilfe auffindbar, zugänglich, verständlich und nutzbar
   sind. Hierbei ist die Nutzung persönlicher Hilfsmittel zulässig.

 

HmbGGbM §7 Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr (Auszug)

(2) Die Träger öffentlicher Gewalt und die juristischen Personen nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 sollen anlässlich der Durchführung von investiven Baumaßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 bauliche Barrieren in den nicht von diesen Baumaßnahmen unmittelbar betroffenen Gebäudeteilen, soweit sie dem allgemeinen Besucherverkehr dienen, feststellen und unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten abbauen, sofern der Abbau nicht eine unangemessene wirtschaftliche Belastung darstellt.

(5) Neu zu errichtende öffentliche Straßen, Wege und Plätze sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen sind nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften barrierefrei zu gestalten. Weitergehende Vorschriften bleiben unberührt.

(6) Der Senat unterstützt durch die Sicherstellung von Beratungsangeboten die Träger öffentlicher Gewalt, die juristischen Personen nach § 2 Absatz 1 Nummer 2, Vereine, Institutionen sowie Unternehmen und Unternehmensverbände bei der Entwicklung von Konzepten und der Umsetzung von Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit.

 

Barrierefreiheit und Kosten

Raumakustische Maßnahmen bewirken regelmäßig keine unangemessene wirtschaftliche Belastung, insbesondere dann nicht, wenn sie bei Raum-Anpassungen nur in einem oder wenigen Räumen auszuführen sind. Bei Neubauten ist in raumakustischer Hinsicht gegenüber den ohnehin sachgerecht zu planenden Bauteilen fast nur der Mehraufwand für die schallabsorbierenden Wandpaneele zu berücksichtigen.

Würde man den Kosten der Barrierefreiheit endlich einmal den gesamtwirtschaftlichen Nutzen (oder auch nur die durch sie möglichen Einsparungen) gegenüberstellen, dann wäre sofort klar, dass Barrierefreiheit sich auch finanziell lohnt! Um Ihnen das Rückblättern zu ersparen, habe ich hier noch einmal einige der Argumente aus den Kapiteln 3.2 und 3.3 zusammengestellt:

 Gute (nachhallarme) Raumakustik

·     vermeidet durch wohnortnahe Beschulung jährlich erhebliche Fahrtkosten für Kinder,
   die sonst ein Förderzentrum besuchen müssten

·     verbessert den Lernerfolg mit weniger Klassen- oder Semester-Wiederholerinnen

·     verringert die Gefahr von Burn-Out

·     verringert die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen

·     verringert Gefahr der Lärm-Schwerhörigkeit

·     verringert Gefahr des lärmverursachten Tinnitus

·     verringert die Sprech-Anstrengung und Stimmerkrankungen

·     verringert deshalb den Krankenstand bei Lehrerinnen und Schülerinnen

·     verlängert dadurch die Lebens-Arbeitszeit der Lehrkräfte

·     verringert den Mangel an Pädagoginnen

Natürlich amortisieren sich die Maßnahmen nicht „von heute auf morgen“, aber welche langfristigen Einsparungen möglich sind, ist gut am Beispiel der „Fahrschülerinnen“ zu zeigen. Viele von ihnen sind in den Flächenländern vor und nach der Schule jeweils mehr als eine und bis zu zwei Stunden unterwegs, fahren also in jeder Richtung mehr als 100 km. Bei im Mittel 200 Schultagen/Jahr beträgt die Fahrstrecke

2 * 100 km/Tag * 200 Tage = 40.000 km.

Nicht nur die Kosten für Treibstoff, sondern auch für die Fahrzeuge und das Fahrpersonal ließen sich bei einer wohnortnahen inklusiven Beschulung einsparen. Hinzu käme die geringere Umweltbelastung durch weniger CO2 und weniger Verkehrslärm.

Unabhängig von diesen Kosten und den möglichen Einsparungen ergibt sich auch für die Kinder und deren Eltern ein erheblicher Zuwachs an Lebensqualität: Fahrschülerinnen müssen bereits zwischen 06:00 und 07:00 das Haus verlassen und sind zwischen 17:00 und 18:00 wieder zurück. Dann ist vor dem Abendessen kaum noch Zeit für Kontakte zu Kindern aus dem Wohn-Umfeld, geschweige denn für sportliche und/oder kulturelle Aktivitäten. Die Zeit unterwegs summiert sich für diese Kinder auf bis zu 800 Stunden/Jahr = 32 Tage/Jahr oder 1 Monat/Jahr!

Kinder, die wegen zu langer Fahrstrecken im Internat einer Förderschule leben müssen, sind jede Woche fünf Tage lang aus dem familiären Umfeld herausgerissen. Das ist eine Situation, die man Grundschulkindern überhaupt nicht zumuten kann/darf. Und diese Aussage gilt nochmals verstärkt für Kinder mit Fluchterfahrungen. Hier ist eine Trennung von den Eltern absolut unzulässig!

Wie / wer behauptet,
Barrierefreiheit sei „zu teuer“,
die / der denkt zu kurz
.

          Carsten Ruhe

Barrierefreiheit und „Universal Design“

Nach den Untersuchungen von Sohn (2002) ist bei den Jugendlichen ab 14 Jahren etwa 1% von Schwerhörigkeit betroffen, für jüngere liegen keine Zahlen vor. Man geht aber davon aus, dass im Grundschulalter im Mittel etwa 10% - im Jahresverlauf wechselnd - eine temporäre Hörschwellenverschiebung aufgrund von Infektions- und Erkältungskrankheiten aufweisen. Das sind in jeder Klasse zwei oder drei Kinder. Der Anteil „fremdhörender“ Kinder und Jugendlicher mit internationaler Herkunft liegt im Bundesmittel bei 15%, in Ballungsgebieten bis zu 30% und an Schwerpunktschulen teilweise über 90%. Nach dem Altersdurchschnitt unserer Pädagogen unterrichtet in jeder vierten bis fünften Klasse eine Lehrerin mit Schwerhörigkeit. Viele davon sind sich dessen noch gar nicht bewusst. Sie alle benötigen für ein barrierefreies Verstehen eine entsprechende Raumakustik.

Barrierefreiheit ist für ALLE da!

Carsten Ruhe

Aktuelles: BSK zum Thema Kosteneinsparungen (2025-01-16)

Die geplanten Sparmaßnahmen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, die auch die Barrierefreiheit betreffen, stoßen auf scharfe Kritik. Die Bundesvorsitzende des BSK, Verena Gotzes, warnt eindringlich vor einem Rückschritt in der Inklusion:
„Das, was hier diskutiert wird, ist nicht weniger als ein Angriff auf die Menschenrechte. Barrierefreiheit ist kein Luxus, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil einer inklusiven Gesellschaft, wie sie uns die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt. Einsparungen in diesem Bereich zu fordern, zeugt von kurzsichtiger Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen und Rechten von Menschen mit Behinderungen.“
Hintergrund ist der Vorschlag des Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl, Einsparungen bei der Barrierefreiheit vorzunehmen, um die kommunalen Haushalte zu entlasten. Unter anderem wurde vorgeschlagen, öffentliche Gebäude nur noch im Erdgeschoss barrierefrei zugänglich zu machen. Dazu Gotzes weiter: „Diese Vorschläge stellen nicht nur eine Missachtung der UN-Behindertenrechtskonvention dar, sondern gefährden auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine Reduzierung der Barrierefreiheit wäre ein fatales Signal an alle Menschen mit Behinderungen: Eure.Teilhabe.ist.nicht.wichtig. Das können und dürfen wir als Gesellschaft nicht akzeptieren.“
Auch die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) äußerte sich kritisch zu den Einsparplänen. Sie bezeichnete diese als „ethisch fragwürdig und volkswirtschaftlich kurzsichtig“. Die Folgen solcher Maßnahmen seien langfristig höhere soziale und wirtschaftliche Kosten, da eine fehlende Inklusion gesellschaftliche Spaltungen vertiefe und Chancengleichheit verhindere.
Der BSK fordert eine nachhaltige Reform der Kommunalfinanzierung, die Altschuldenübernahme durch den Bund sowie eine faire Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. „Es braucht mutige und zukunftsweisende Lösungen, keine Rückschritte, die auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden“, so Gotzes. Der Verband appelliert an die Politik, Menschenrechte nicht dem Rotstift zu opfern, und warnt davor, die UN-Behindertenrechtskonvention als reines Lippenbekenntnis zu behandeln.

Wir sind verantwortlich,

nicht nur für das, was wir tun,

sondern auch für das, was wir unterlassen.

 

Barrierefreiheit und Denkmalschutz

Bisweilen wird auch der Denkmalschutz, unter dem ein „betagtes“ Schul- oder Hochschulgebäude steht, als Grund dafür angeführt, die erforderlichen Maßnahmen zur raumakustischen Barrierefreiheit zu verweigern. In Einzelfällen gilt das sogar in Bezug auf die not-wendigen Maßnahmen zur Gefahren-Abwehr bei der Verständlichkeit von Sprach-Alarmierungs-Anlagen.

Meines Wissens hat bisher die Freie und Hansestadt Hamburg als einziges Bundesland zum Verhältnis zwischen Barrierefreiheit und Denkmalschutz im § 9 (2) „Genehmigungsvorbehalt für Veränderungen von Denkmälern“ des Denkmalschutzgesetzes folgenden Satz stehen:

Die beantragte Genehmigung darf nur versagt werden, wenn ihr überwiegende Gründe des Denkmalschutzes entgegenstehen. Sie ist zu erteilen, sofern überwiegende öffentliche Interessen dies verlangen, dabei sind insbesondere Belange des Wohnungsbaus, der energetischen Sanierung, des Einsatzes erneuerbarer Energien und die Belange von Menschen mit Behinderungen oder Mobilitätsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen.

 

Weitere Hinweise ergeben sich durch eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Denkmalschutz und Barrierefreiheit bei öffentlichen Gebäuden, Gesetzgebungskompetenz und Ausnahmeregelungen“.

Wussten Sie schon,
dass „denk-mal“ ursprünglich eine Aufforderung ist?

Was ist baulich für die akustische Barrierefreiheit zu beachten?
- nicht nur an die motorischen, sondern auch an die sensorischen
  und kognitiven Einschränkungen möglicher Nutzerinnen denken
- Notwendigkeiten erfragen
  (Betroffene sind zwar Spezialistinnen in eigener Sache,
  aber nur selten auch Generalistinnen ihrer Behinderungsart)
- deshalb auch sachverständige Fach-Ingenieurin für Barrierefreiheit
  zu Rate ziehen
- Maßnahmen zur Barrierefreiheit nicht nur auf „die“ Behinderten
  beziehen, sondern als "universal desingn" auf alle Nutzerinnen

 

Stand 2025-01-25