5.12  Exkurs Lombard-Effekt

Der nach dem französischen Wissenschaftler Étienne Lombard (1868–1920) bezeichnete Effekt beschreibt seine Beobachtung, dass eine Sprecherin bei Hintergrund- bzw. Störgeräuschen ihre Lautstärke und meist auch ihre Tonlage erhöht. Wenn gesagt wird, jemand „erhebt die Stimme“, dann betrifft das nicht nur den Schallpegel, sondern auch die Sprachfrequenz. Das ist vorteilhaft, weil sich hohe Frequenzen besser gegen Störschall durchsetzen als tiefe. Die größte Empfindsamkeit des menschlichen Ohres liegt im Frequenzbereich zwischen etwa 2000 Hz und 5000 Hz. Umgekehrt „senkt man die Stimme“ bei vertraulichen Gesprächen. Dann dringt die verständliche Sprache nicht so weit.

Raumakustikerinnen betrachten beim Lombard-Effekt nur die Pegel, nämlich die Wirkung, dass bei Störgeräuschen unwillkürlich lauter gesprochen wird, womit man das Störgeräusch weiter anhebt. Wenn mehrere Gesprächsgruppen in einem Raum zusammenkommen, bedeutet die höhere Lautstärke in der einen Gruppe auch einer Erhöhung des Störgeräusches für die anderen Gruppen. Das verschlechtert die Sprachverständlichkeit, sodass in jeder Gruppe nochmals lauter gesprochen wird. Die „natürliche Grenze“ wird bei der maximalen Schallleistung der Sprecherinnen erreicht. Weil in Unterrichtsräumen mit zu langen Nachhallzeiten hohe Störgeräuschpegel entstehen, muss man sich über Heiserkeit und weitere Stimm-Erkrankungen bei den Unterrichtenden nicht wundern…

Der Lombard-Effekt ist aber umkehrbar! Messtechnische Nachweise liegen dazu sowohl aus den Untersuchungen von Oberdörster und Tiesler (2005) in Bremen als auch aus der Essex-Studie von Canning und James (2012) vor.

Oberdörster und Tiesler haben nach der akustischen Sanierung von Klassenräumen bei einer Halbierung der Nachhallzeit im Mittel um 6 dB niedrigere Schallpegel ermittelt als vorher. Physikalisch-rechnerisch wäre eine Pegelminderung um lediglich 3 dB zu erwarten gewesen; die anderen 3 dB stammen aus dem (umgekehrten) Lombard-Effekt. Gerhart Tiesler hat das bei der Präsentation der Ergebnisse kommentiert mit:

„3 dB wurden bezahlt; 3 dB gab es geschenkt.“

Abbildung 5.12: Schallpegelminderung durch Nachhallzeit-Reduzierung nach

Oberdörster/Tiesler                   und                             Canning/James

Die Bremer Autoren schreiben dazu:      
Nach der Sanierung liegt das Maximum der Verteilung um zwei Pegel-Klassen, entsprechend 6 dB(A), bei ansonsten gleicher Verteilung niedriger als vorher. Die Pegelreduktionen sind dabei nicht nur in den Durchschnittwerten, sondern auch innerhalb konkreter Einzelfälle nachzuweisen.

Noch eindrücklicher ist die Abbildung 5.12, rechts, aus der Essex-Studie. Vier Klassenräume wurden mit unterschiedlichen Nachhallzeiten zwischen 1,2 s und 0,4 s präpariert und nach einer gewissen Zeit gegeneinander ausgetauscht (1-2-3-4 à 2-3-4-1 usw.). Bei Schallpegelmessungen während mehrerer Wochen wurde nicht nur der mittlere Schallpegel LAeq während des Unterrichts erfasst, sondern mittels statistischer Auswertung auch der Hintergrundpegel als Kennzeichnung für das „nebenbei entstandene“ Störgeräusch L90 im Klassenraum.

Aus den beiden schräg verlaufenden Regressionsgeraden ist Folgendes zu erkennen:

·  Durch die Verkürzung der Nachhallzeit von im ungünstigsten Fall 1,2 s auf im günstigsten der untersuchten Fälle 0,4 s verringert sich der Nutzsignalpegel von vorher LAeq = 70 dB(A) auf nur noch 62 dB(A). Bei einer Drittelung der Nachhallzeit dürfte der Pegel (physikalisch-rechnerisch) nur um 5 dB abnehmen. Wenn er hier aber um 8 dB geringer ist, dann haben alle in dem gedämpften Raum im Mittel um 3 dB leiser gesprochen.

·   Durch die Schallabsorption verringert sich auch der Störgeräuschpegel von vorher L90 = 62 dB(A) auf nur noch 43 dB(A). Bei einer Drittelung der Nachhallzeit sollte er (physikalisch) ebenfalls um 5 dB abnehmen. Der „Lombardeffekt“ bewirkt, dass die „Störerinnen“ sich im gedämpften Raum selbst auch leiser verhalten und dass dadurch der Störgeräuschpegel überproportional abnimmt. Der Signal-Rausch-Abstand SNR (signal-to-noise-ratio) stieg von vorher 8 dB auf hinterher 19 dB, was sich durchschlagend auf die Sprachverständlichkeit auswirkt. Vergleiche hierzu Abbildung 5.8.2 im Kapitel 5.8. Ab SNR = 15 dB wird die optimale Sprachverständlichkeit erreicht.

Wie wirkt sich der Lombard-Effekt aus?
-
in einer Umgebung mit Störgeräuschen wird unwillkürlich lauter gesprochen
- das veranlasst andere Personen, ebenfalls lauter zu sprechen
- dieser Effekt ist auch als sogenannter „Kneipen-Effekt“ bekannt
- Geräuschminderung durch kurze Nachhallzeit wirkt dem nicht nur entgegen,
  sondern kehrt den Effekt um:
- in einer Umgebung ohne Störgeräusche wird unwillkürlich leiser gesprochen
- durch die geringeren Störgeräusche verbessert sich die Verständlichkeit
- Stimmprobleme bei den Lehrkräften werden erheblich verringert
- immer wieder wird auch von einem auffällig besseren Umgang miteinander
  in Räumen mit „verbesserter“ Raumakustik berichtet

 

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Stand 2025-04-08