6.1.6   Hörsäle, RG A3

Bitte lesen Sie zunächst die für alle Kapitel „übergeordneten“ Hinweise unter 6.1.

„Hörsäle sind wie Klassenräume, nur größer.“
Die Meinung, man könne genau die gleichen Gestaltungsprinzipien anwenden, wie in Kapitel 6.1.1 beschrieben, trifft nicht zu! In Klassenräumen wird längst nicht mehr nur frontal unterrichtet, in Hörsälen aber schon, denn in Hochschulen findet die Gruppenarbeit in Seminaren und Praktika statt. Zur Studienzeit des Verfassers fand Einzelarbeit „auf der Bude“ und Gruppenarbeit in den Kneipen statt.

Mehr als auf einen Bierdeckel draufgeht,
kann man auf einmal sowieso nicht behalten.

Hörsäle fassen nicht nur wesentlich mehr Zuhörerinnen als Klassenräume, sie sind auch wesentlich sparsamer oder gar nicht möbliert (mit Ausnahme des Gestühls). Keine Regale mit Büchern oder Material, keine „Kuschelecken“ oder dergleichen wirken ergänzend schallabsorbierend. Auch können Vorlesungen durchaus vor „fast leerem Gestühl“ stattfinden. Die gesamte notwendige Schallabsorptionsfläche muss also fest an Decke und Rückwand (und bisweilen in das Gestühl) eingebaut sein.

In Hörsälen wird das Gestühl meist eben oder nur leicht ansteigend angeordnet. Bei den Naturwissenschaften oder in der Medizin kommen aber auch Räume vor, die nicht nur Hör-, sondern auch Seh-Säle mit ansteigenden Sitzreihen sind. Dann sind die Räume nicht nur deutlich länger, sondern auch höher (als die Klassenräume nach Kapitel 6.1.1). Schließlich kommen nicht nur rechteckige Grundrisse mit geradem Reihengestühl vor, sondern auch fächerförmige mit Anordnung der Sitzplätze im Kreisbogen. Hörsaalplanung von Aschoff (1977) ist zwar an vielen Stellen technisch überholt, enthält aber viele und sehr hilfreiche Beispiel-Grundrisse.

Abbildung 6.1.6.1 Beispiele von Hörsälen mit ansteigendem Gestühl im Kreisbogen und in gerader Anordnung. Bei dem rechts abgebildeten Hörsaal ist die schallabsorbierende Rückwand aus Loch-Ziegeln erkennbar.

 

Für die rechteckigen Raumformen zeigen auch die Bilder 4, 5 und 7 von DIN 18041 einige Beispiele zur Anordnung von Absorptions- und Reflexionsflächen. Diese Bilder stammen noch aus der Ursprungsfassung der Norm von 1968, wie die dortige Abbildung 6.1.2.2 zeigt. Damals waren Beschallungsanlagen in Räumen noch völlig unbekannt. (Die Stereophonie wagte sich gerade in die Wohnzimmer.) Man ging deshalb davon aus, dass die Räume – ähnlich wie Opernhäuser und Theater mit ausgebildeten Sängerinnen und Sprecherinnen) – allein mit der natürlichen Stimme beschallt werden müssen. Auch waren Frauen auf dem Podium noch deutlich seltener. Für die „Tragfähigkeit der Stimme“ durfte die Nachhallzeit die untere Toleranzbereichsgrenze nicht unterschreiten und „günstige Reflexionen“ mussten den Schall zu den hinteren Plätzen lenken.

 

 

 

 

Abbildung 6.1.6.2 Auszug aus DIN 18041:1968

Die Situation hat sich heute vollständig geändert. Beschallungsanlagen für Sprache werden nicht nur zur Verstärkung der Sprecherinnen-Stimmen eingesetzt, sondern auch für die Abstrahlung der Tonsignale von AV-Medien oder bei Online-Übertragungen. Der notwendige Schallpegel kann also auch in den hinteren Reihen mühelos erreicht werden, sofern die Beschallungsanlagen auch mit mobilen Mikrofonen ohne Rückkoppelungen zu betreiben sind, siehe auch Kapitel 7.10. „Schädliche“ Reflexionen zurück zu den Mikrofonen sind also zu vermeiden. Hierzu ist wiederum der Hinweis aus DIN 18041:2016, Kapitel 4.2.3 hilfreich:

Im Zweifelsfall sollten in Räumen
zur Sprach-Information und -Kommunikation
eher kürzere als längere Nachhallzeiten realisiert werden.

In Hörsälen können also (und sollten auch) vollflächig hochgradig schallabsorbierende Decken eingebaut werden. Ein geneigter Deckenreflektor über dem Podium ist zwar nicht nachteilig, insbesondere im „Havariefall“ der Beschallungsanlage, jedoch darf dessen Unterkante nicht die erforderliche Bildwandhöhe nach Kapitel 7.13 beeinträchtigen.

In Ergänzung zu der schallabsorbierenden Decke sind unbedingt auch entsprechende Wandpaneele an der Hörsaal-Rückwand notwendig. Das gilt nicht nur zur Nachhallzeit-Verkürzung und wegen der großen Bedeutung für die Sprachverständlichkeit, sondern auch, um langverzögerte Reflexionen der Lautsprechersignale (wieder mit der Gefahr der sogenannten „akustischen Rückkoppelung“) zu verhindern. Bei Grundrissen in Form eines Fächers oder Amphitheaters mit hohlspiegelartig gekrümmten Rückwänden ist das besonders gefährlich.

Anders als in Unterrichtsräumen werden schallabsorbierende Wandpaneele in Hörsälen nicht als Pinnwände benutzt. Weiche, mechanisch empfindliche Oberflächen sind deshalb nicht nötig und auch für die zu erwartenden Beanspruchungen nicht stabil genug. In gut besuchten Vorlesungen/Veranstaltungen stehen nämlich auch etliche Zuhörerinnen angelehnt an der Rückwand. Die Paneele müssen deshalb stabil, dauerhaft und unempfindlich gegen Verschmutzungen sein. Genaueres siehe Kapitel 7.3.

In repräsentativen Hörsälen wird das Gestühl auch mit einer Polsterung (wie ein Kino-Gestühl) ausgestattet. Damit entsteht eine nicht unerhebliche zusätzliche Schallabsorptionsfläche. Im besetzten Zustand ist dieser Absorber von der darauf sitzenden Person abgedeckt, die aber ihrerseits schallabsorbierend wirkt. Dadurch sind die Nachhallzeiten im besetzten und unbesetzten Raum fast gleich. Dieser Effekt wird auch in Theatern und Konzertsälen sehr gerne ausgenutzt, weil sich dann die Situation zwischen Generalprobe (Saal unbesetzt) und Aufführung (Saal besetzt) nur wenig ändert.

Abbildung 6.1.6.3 Hörsaalgestühl mit für die Schallabsorption gelochter Unterseite (links) und Blick vom Podium auf das Gestühl (rechts); diese ohnehin nur kleine Absorberfläche ist praktisch wirkungslos

Den folgenden kursiv abgedruckten Text habe ich übernommen aus 

https://architektur.fandom.com/de/wiki/H%C3%B6rsaal       
und - wegen der zahlreichen für die Planerinnen interessanten Zusatz-Informationen zu meinen Erläuterungen - ohne jede Änderung hier eingefügt:

Größere Hörsäle für zentrale Vorlesungen werden bevorzugt in Auditoriengebäuden untergebracht. Kleinere Hörsäle für Fachvorlesungen in Instituts- und Seminar-Gebäuden. Der Zugang zum Hörsaal sollte getrennt vom Forschungsbetrieb auf möglichst kurzem Wege stattfinden, von außen, an der Rückseite des Hörsaals, bei ansteigendem Gestühl hinter der obersten Reihe, bei großen Hörsälen auch seitlich in mittlerer Höhe. Dozenten betreten den Hörsaal oft von vorn aus dem Vorbereitungsraum. Von dort werden auch die Experimentiereinrichtungen in den Hörsaal gerollt. Gebräuchliche Hörsaalgrößen sind 100, 150, 200, 300, 400, 600 oder 800 Plätze. Hörsäle bis 200 Plätze haben eine Geschosshöhe von ca. 3,50 m und sind im Institutsgebäude integriert. Größere Hörsäle sind besser in einem eigenen Gebäude untergebracht. Experimentiertische sollten möglichst austauschbare, fahrende Einheiten und für labormäßige Arbeiten geeignet sein. Medienanschlüsse sind erforderlich.

Grundformen von Hörsälen sind:

·     rechteckig (meist nur kleinere Hörsäle)

·     trapezförmig

·     vieleckig / sechseckig

Bestimmte Fächer haben besondere Ansprüche an Hörsäle. Die Geisteswissenschaften benötigen Hörsäle mit flach ansteigendem Gestühl. Die Naturwissenschaften und Medizin hingegen benötigen stärker ansteigendes Gestühl. Sogenannte "Anatomie-Theater" benötigen ein hohes kuppelförmiges Oberlicht, durch welches die Studenten bei Operationen von oben her zusehen können.

Bei der Planung von Räumen mit mehr als 200 Plätzen ist die Versammlungsstättenverordnung (VStättVO) zu beachten. Außerdem ist darauf zu achten, dass auch Rollstuhlnutzer ausreichend Platz in Hörsälen haben (DIN 18040).

Ergänzungsflächen zum Hörsaalbetrieb

Jedem Hörsaal ist ein direkt erreichbarer Nebenraum zuzuordnen. Dieser hat keine feste Funktion, kann auch als Abstellraum genutzt werden. Bei allen Experimentierhörsälen ist genügend Vorbereitungsfläche vorzusehen. Anordnung niveaugleich und kurze Wege zum Podium. Richtwerte für Mindestgrößen: Rechteckförmiger Grundriss des Hörsaals etwa 0,2 - 0,25 m²/Platz, trapezförmiger Grundriss 0,15 - 0,18 m²/Platz. Für naturwissenschaftliche und vorklinische Disziplinen 0,2 - 0,3 m²/Platz in Ansatz bringen.

Für den Betrieb eines Hörsaalgebäudes sind Flächen für Lager und Aufenthaltsräume erforderlich. Aufenthaltsraum für technisches Personal zur Wartung der Hörsaaleinrichtungen, Aufenthaltsraum für das Reinigungspersonal, Lagerraum für Ersatzteile, Glühlampen, Leuchtstoffröhren, Hörsaaltafel, Kleider usw. Mindestgröße pro Raum 15 m², Flächenbedarf für alle Nebenräume mind. 50 - 60 m².

Ausstattung: Hörsaalbestuhlung

Kombinierte Einheiten aus Klapp- oder Schwenksitz, Rückenlehne und Schreibpult (mit Mappen-Ablage oder -Haken), meist fest montiert. Anordnung je nach Fachgebiet, Hörerzahl und Art der Stoffvermittlung gering (Diavorträge, elektroakustische Anlagen) bis stark. Manche Hörsäle (Chirurgie, innere Medizin, Physik) erfordern steigende Stuhlreihen. Platzbedarf je Hörer in Abhängigkeit von Sitzform, Pulttiefe und Bodengefälle. Je Student einschließlich aller Gehflächen bei größeren Hörsälen und engster Stellung beträgt der Platzbedarf 1,10 m², bei kleinere Hörsälen und Normalstellung 0,80 - 0,95 m².

Ausstattung: Projektions- und Tafelflächen

Projektionswand günstig als Segmentfläche ausgebildet oder fest auf gerader Stirnwand. Wandtafeln in mehreren Segmenten, meist vertikal verschiebbar, hand- oder maschinengesteuert, absenkbar unter die Projektionsfläche, auch fahrbare Tafeln möglich. Sprechleistung soll Hörer möglichst gleichmäßig erreichen, kein störendes Echo. Abgehängte Decken für Reflexion und Absorption. Rückwände mit schallschluckendem Material verkleidet, sonstige Wände glatt. Beleuchtungsstärke im fensterlosen Hörsaal 600 Lux (DIN 5035).

Was ist bei Hörsälen zu tun?
- Anhand der Nutzung gemeinsam mit Nutzerinnen Grundfläche und
  Raumform sowie ebenes oder ansteigendes Gestühl festlegen
- die gestalterisch für diese Raumart gewünschten Materialien auswählen
- deren bewertete Schallabsorptionsgrade αw ermitteln/erfragen (αw≥ 0,80)
- die für diese αw erforderlichen Flächenanteile berechnen
- günstig ist generell eine vollflächige Belegung der Decke
- ggfs. im „Bühnen“-Bereich ein geneigter Deckenreflektor
- Randfriese nicht breiter als 0,3 m, besser deutlich schmaler
- schallabsorbierendes Rückwandpaneel über die Hörsaalbreite ist MUSS
- Beschallungsanlagen für Sprache und AV-Medien (siehe
Kapitel 7.10)
- barrierefreie Übertragungsanlagen (siehe auch
Kapitel 7.12)

  für Studentinnen mit Hörschädigung vorsehen
- zusätzliche Steckdosen für Arbeitsplatzleuchten / Lesegeräte
  für Studentinnen mit Sehschädigung
- ausreichend große Projektionsflächen

  (Faustformel für gute Erkennbarkeit von Schrift:
  Bildhöhe ≥ Hörsaal-Länge / 6)

- Plätze für Rollstuhlfahrerinnen nicht ausschließlich vorne planen
  (hilft gegen Halsstarre)

 

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Stand 2025-02-25