Spezial: Hotel Utopia

Copyright-Hinweise

Meine eigenen Texte, die hier angeboten werden, dürfen Sie gerne weitergeben und/oder kopieren. Ich freue mich sehr darüber, wenn Sie die Texte zur Weitergabe „für gut genug“ halten; und "Imitation" ist schließlich immer die reinste Form der Anerkennung. Wir freuen uns ja auch, wenn unsere Kinder unser Verhalten übernehmen (meistens jedenfalls).

Sie sollten aber bitte die Quelle auch dieser Texte bei der Wiedergabe nennen bzw. erkennbar lassen (außer, Sie wollen promovieren und danach in die Politik gehen).

 

2023-05 Hotel Utopia: Wir haben modernisiert, dürfen wir uns vorstellen?

Mein Hotel Utopia gibt es so bisher (leider) noch nirgends. Ich habe einfach mal meine Gedanken schweifen lassen und überlegt, was man denn wohl so alles anstellen könnte, wenn man allen Gästen einen unbeschwerten Aufenthalt ermöglichen möchte. Etliche Hinweise der deutschen und internationalen Normung habe ich gedanklich umgesetzt, etliche Stellen der Normen auch mit diesen Gedanken kommentiert und auch schonungslos meine Misserfolge beschrieben, wenn eine ursprünglich hochgelobte Lösung dann doch nicht so funktioniert hat, wie die Normverfasser*innen sich und ich mir das vorgestellt hatten. Allen Wegbegleiter*innen, die mir ihre Erlebnisse berichtet und damit weitere Anstöße gegeben haben, danke ich herzlich. Einige beispielhaft eingestreute Links dürfen gerne auch als Werbung für die jeweilige Institution verstanden werden. Leider sind nur einige davon in meiner Geburtsstadt ansässig, andere über das Bundesgebiet verstreut.

Die erste Baumaßnahme des Hotel Utopia war bereits im März 2003 abgeschlossen, jetzt sind weitere Um- und Ergänzungsbauten erfolgt. Da wir die alten (und zum Teil eben auch altbewährten) Maßnahmen nicht rückgängig gemacht haben, wirkt einiges inzwischen etwas "altbacken", aber das kann ja einerseits auch seinen Charme haben und andererseits zeigt es, dass Barrierefreiheit nie endgültig erreicht ist. Deshalb ist und bleibt meine Checkliste zu den sensorischen Barrieren auch immer (noch) ein Vorabzug. Sie wird eben nie ganz fertig.

Download
2023-05 Hotel Utopia: Wir haben (zum zweiten Mal) renoviert
2023-05-06-Hotel Utopia.pdf
Adobe Acrobat Dokument 716.5 KB

 

 

Enten-Figur mit Goldtaler in der einen und Spazierstock in der anderen Hand soiwe mit Herzen in den Augen.

Falls Sie noch Wünsche oder Vorschläge an das Utopia-Management haben, zögern Sie bitte nicht, Kontakt aufzunehmen. Schließlich ist der Hotel-Betreiber "Onkel Dagobert". Landläufig meint man zwar, er sei ein alter Geizknüppel, aber auch er ist jetzt in (m)einem Alter, sodass er Barrierefefreiheit (er selbst nennt das aber "Bequemlichkeit") zu schätzen weiß. Da sitzen auch bei ihm die Goldtaler dann doch schon mal etwas lockerer.
Früher war übrigens sein Spazierstock ein Mode-Accessoir, heute gehört er für Onkel Dagobert ebenfalls zur "Bequemlichkeit". Daran können Sie gut erkennen, dass er Ihren berechtigten Wünschen sehr aufgeschlossen gegenüber stehen wird. Das Interview zu diesem Thema ist hier abgedruckt. Onkel Dagobert hat offen und ausführlich auf alle Fragen geantwortet.

 

Sehr geehrter Herr Duck, moin,
herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Interview zur Verfügung gestellt haben. Bevor ich irgendetwas falsch mache wüsste ich gern, wie man Sie richtig anspricht?

Dagobert Duck (lacht): ja, moin tosomen! Die Antwort ist gar nicht so einfach zu geben, denn alle reden immer nur von „Onkel Dagobert“, wenn sie über mich reden. Mit mir redet ja kaum jemand. Und deshalb weiß auch kaum jemand, dass ich nicht nur „der alte Geizkragen“ bin, sondern auch anders kann. Wenn Sie im Interview ein Kürzel verwenden wollen, dann nehmen Sie doch einfach ODD für „Onkel Dagobert Duck“. Dann haben Sie sowohl ein Pronomen als auch den vollständigen Familiennamen.

Aber „odd“ steht doch im Englischen für „seltsam, merkwürdig“?

ODD: Na ja, das passt doch auch! Schließlich meinen doch Alle über mich zu wissen, dass ich seltsam und merkwürdig (einige behaupten auch „kauzig“) bin. Früher habe ich mich darüber geärgert, dass man über mich geredet hat statt mit mir; heute genieße ich diese seltsame Popularität auch ein wenig. Im Alter wird man milder.

Herr Duck, Sie betreiben ein Hotel, welches sich meines Wissens als wohl bisher einziges weltweit der vollumfänglichen Barrierefreiheit – nicht nur für die Gäste, sondern auch für das Personal – verschrieben hat. Der nun schon zweite, die ersten Maßnahmen ergänzende, Umbau hat wieder allerlei gekostet. Wie verträgt sich das mit Ihrem Ruf als (O-Ton ODD) „alter Geizkragen“?

ODD: Ich sag’s ja: die Leute reden über mich statt mit mir. Sonst wäre sicher bekannt, dass ich gar kein Geizkragen, sondern ein Geschäftsmann bin, der rechnen (und auch ein wenig warten) kann. Ich horte ja nicht nur das Geld, sondern vorher sammle ich es auch. Und das geht am besten dort, wo einerseits die Marge groß ist und wo andererseits noch nicht viele Mitbewerber sind. Erinnern Sie noch die Story mit meinem „Bestseller“?

Welche?

ODD: Ich habe Bücher „Das Geheimnis meiner Millionen“ herstellen lassen. Toller Umschlag, aber lauter unbedruckte Seiten. Gekostet hat es fast nichts. Das Buch ging weg wie warme Semmeln, denn jeder wollte mein Geheimnis wissen. Hätte ich etwas hinein geschrieben, dann wäre es ja kein Geheimnis mehr. Ich hatte einen guten finanziellen Gewinn und die Käufer einen guten Erkenntnis-Gewinn…

Aber warum finanzieren sie jetzt in so „kostenträchtige“ Maßnahmen wie die Barrierefreiheit Ihres Hotels? Rechnen Sie denn da auch mit einem guten Gewinn?

ODD: Sie haben das Wort „kostenträchtig“ ja eben schon mit gut hörbaren Gänsefüßchen gesprochen. (Für die „Gänsefüßchen“ fordert unsere Familie übrigens keine Tantiemen, schließlich sind die meisten von uns Enten.) Natürlich muss man investieren und natürlich muss man an einigen Stellen auch kräftig investieren. Aber hier denke ich eben weiter als manch anderer Investor.

Jeder (auch ich) überlegt, ob er sich so etwas leisten kann und ob das Geld dafür vorhanden ist oder zumindest kurzfristig wieder herein kommt. Leisten kann ich es mir durchaus und bei mir muss „kurzfristig“ wegen meines finanziellen Puffers auch nicht ganz so kurzfristig sein. Und vielleicht stellen erst meine Erben – Donald und seine drei Jungs – fest, dass sich das gelohnt hat, was der „alte Geizkragen“ Onkel Dagobert damals angestellt hat.

Wenn man genau kalkulieren will, dann muss man als erstes einmal überlegen, welche Zielgruppe man denn in den Blick nimmt. Bei einem Hotel ist die eine große Zielgruppe sofort augenfällig; das sind die Hotelgäste. Die bringen das Geld rein. Für einen Chef wie mich gibt es aber auch noch eine wichtige zweite Zielgruppe, das sind die Enten und Erpel des Personals! Für viele Manager sind die unwichtig oder sogar lästig, weil sie doch nur Geld kosten und auch noch quaken. Jetzt kommt das große ABER: Für ein Hotel ist das Personal das Aushängeschild des Hauses! Das gilt für Behörden übrigens genauso (kichert). Geht es dem Personal gut / hat das Personal es einfach, dann kann es sich besser um die Gäste kümmern.

Hierzu will ich Ihnen gern ein paar Beispiele nennen:

Da ist zum Beispiel die Raumakustik im Empfang oder im Restaurantbereich. Die Mitarbeitenden sind teilweise schon länger als 30 Jahre hier und in einem ähnlichen Alter wie viele unserer Gäste. Verständigungsschwierigkeiten bestehen hier also durchaus auf beiden Seiten. Und wenn wir dann noch Gäste haben, die unsere Landesquake nicht gut beherrschen (oder auch die Damen und Herren des Personals, die mit einer Greencard bei uns arbeiten) dann sind solche raumakustischen Maßnahmen eine unauffällige aber sehr große Hilfe.

Wenn eine Reisegruppe mit dem Bus ankommt und alle Gäste stehen in der Lobby, dann ist in ungedämpften Räumen ein so hoher Pegel wie in einer Kneipe. Dort kommen die Mitarbeitenden an der Rezeption in Stress, weil sie die Angaben der Reisenden nicht verstehen und umgekehrt. Die Schutzscheiben haben in den vergangenen Jahren weitere Erschwernisse gebracht. Der einzelne Anmeldevorgang dauert länger als es sein müsste, alle werden unruhig und es wird immer schlimmer.

In einer gut gedämpften Lobby wie hier geht das alles ruck-zuck; Stress und dadurch verursachte Kreislauferkrankungen werden vermieden. Mir kommt es auch so vor, als wenn das Personal in dieser Rezeption seltener krank ist als woanders, aber für eine aussagekräftige Statistik ist es noch zu früh. Burnout oder Tinnitus wurden mir hier jedenfalls noch gar nicht berichtet.

Ein anderes Thema sind die Markierungen. Wenn ich hier bin, dann habe ich es eigentlich immer eilig. Früher bin ich – nicht nur einmal – so kräftig gegen die Glaswände gelaufen dass mir der Zwicker vom Schnabel und der Zylinder vom Kopf fielen. Einmal hatte ich sogar eine Gehirnerschütterung. Vielleicht kennen Sie ja noch den Zusammenhang von den 2CV der Studenten? Dort stand bisweilen auf der Heckklappe: Ente fliegt schneller als Käfer krabbelt. Da sind die (auch noch in meinem Alter) gut sichtbaren schwarz-weißen Markierungen eine große Hilfe. Und weil wir hier in einem Kurort sind, haben wir natürlich auch viele Gäste in meinem Alter, denen es ähnlich geht. Inzwischen habe ich auch verstanden, warum diese Markierungen nicht nur in Blicköhe von 1,3 m gefordert sind, sondern auch noch einmal "etwa auf Kniehöhe". Für Personen, die in stark gebückter Haltung gehen müssen, ist das nämlich die "echte Blickhöhe". Den gößten Vorteil sehe ich aber für mich selbst und das Personal, denn wir Enten und Erpel sind ja deutlich kleiner als unsere Gäste.

Die vielen Türschließer und insbesondere die elektromotorischen Türöffner und Servomotoren haben etliche Goldtaler verschlungen. Aber auch hier liegt der Nutzen bei weitem nicht nur bei den Gästen. Wie oft haben die Damen und Herren vom Housekeeping und vom Catering der Veranstaltungsräume es nicht nur eilig, sondern auch beide Hände voll? Da lohnen sich nicht nur die Motoren, sondern auch die schnellen Öffnungsvorgänge und die längeren Tür-Öffnungszeiten. Alles geht glatter vom Flügel.

Auch bei der Elektro-Installation haben wir wieder modernisiert. Dabei mussten wir frustriert feststellen, dass wir einiges, was wir erst vor zehn Jahren in die „moderne Technik“ investiert hatten, schon wieder als „veraltet“ herausreißen konnten. Von den damals drei Schreibtelefonen haben wir zwei entsorgt, das dritte steht als Museumsstück in einer Vitrine in der Lobby; keins davon ist jemals angefordert worden. Mit den Fax-fähigen Telefonen geht es uns ähnlich. Aber einige schwerhörende Gäste freuen sich noch immer darüber, wenn wir so aufmerksam waren und ihr Zimmer wieder damit vorbereitet haben. Solche (Sonder)-Wünsche vermerken wir in unserer Gäste-Datei, sodass bei der Ankunft schon alles bereit ist. So müssen die Gäste nicht extra bitten, denn auch die Hemmschwelle ist eine Barriere...

Einige Ergänzungen in der Elektro-Installation sind gar nicht so teuer, wenn man gleich daran denkt. Mir selbst ist auf meinen Reisen aufgefallen, dass Steckdosen in Hotelzimmern echte Mangelware sind. Und seit man mir diese modernen Hörgeräte mit Akkus aufgeschwatzt hat (jede Seite hat drei Goldtaler zusätzlich gekostet), brauche ich nicht nur eine Steckdose für das Ladegerät vom Mobiltelefon, sondern auch noch eine für das von den Hörgeräte-Akkus. Und beide habe ich gern in Reichweite auf dem Nachtschrank. So kann ich übrigens das Handy nicht nur als Uhr benutzen, sondern (unter dem Kopfkissen) auch als Rüttelwecker. Diesen Trick habe ich vor einer Weile von einem ebenfalls schwerhörenden Gast erhalten, als wir uns über unsere „Zipperlein“ austauschten.

Bei reisenden Ehepaaren haben heute fast immer auch beide ein Mobiltelefon und bei älteren Ehepaaren auch oft beide Hörsysteme. Also braucht man auch auf beiden Seiten des Bettes diese Steckdosen. Und weil es immer wieder mal vorkommt, dass Gäste zwar das Ladekabel dabei haben, das Ladegerät aber zuhause vergessen wurde, haben wir neuerdings auch doppelte USB-Lade-Steckdosen installiert. Wenn die Wände für die neuen Installationen ohnehin geöffnet werden, dann ist der Mehraufwand für eine Dreier- statt Zweierleiste nur noch gering.

Doppel- und Einzelzimmer sind in diesem Hause gleich groß. Die Einzelzimmer werden häufiger auch von Geschäftsreisenden genutzt. Dort ist Platz für einen Schreibtisch und für den gibt es wieder eine (bisher) ausreichende Anzahl von Steckdosen.

Wie steht Ihr Personal den ganzen Maßnahmen zur Barrierefreiheit gegenüber?

Das läuft alles hervorragend, seit die gemerkt haben, dass viele Maßnahmen zur Barrierefreiheit auch für sie Vorteile bieten. Man sagt ja, dass im Schnitt die Barrierefreiheit für 1% der Bevölkerung unverzichtbar sei, für 10% hilfreich aber für 100% der Bevölkerung angenehm. Denken Sie nur an das Beispiel mit der Raumakustik in der Lobby oder an die bodengleichen Duschen; beides empfindet jeder Gast als angenehm. Deshalb haben wir die Barrierefreiheit auch in das betriebliche Vorschlagswesen integriert. Und gute Vorschläge mache ich dann auch gern zur „Chefsache“. Das gibt noch mal einen Impuls.

In Ihrem Jahresbericht habe ich gesehen, dass Ihr Hotel eine außergewöhnliche Auslastung aufweist, einerseits im Verhältnis zu anderen Hotels am Ort, andererseits aber auch im Verhältnis zu ähnlichen Hotels anderer Kurorte. Haben Sie dafür eine Erklärung?

ODD: Ja, dafür habe ich nicht nur eine Erklärung, sondern gleich mehrere.

Unsere gute Auslastung im Vergleich zu andern Hotels hier am Kur-Ort liegt daran, dass wir für die Notwendigkeiten (die „Not-Wendigkeiten“) unserer Gäste mehr bieten, was deren Nöte abwendet als die benachbarten Hotels. Im Hinblick auf die Barrierefreiheit sind wir wirklich weit vorne und das wissen unsere Gäste zu schätzen. Wir haben Gäste, die regelmäßig jedes Jahr wieder zu uns kommen, weil sie wissen, wir bieten Ihnen alles, was sie brauchen. Im Kontakt mit unseren Gästen sind ja viele der Ideen erst entstanden, die wir dann anschließend umgesetzt haben.

Im Vergleich zu ähnlichen Hotels anderer Kurorte haben wir den Vorteil, dass auch unsere Gemeinde sehr bemüht ist, das Umfeld nicht nur barrierearm bis barrierefrei zu gestalten, sondern auch viele entsprechende Veranstaltungen zu bieten. Unser Konferenzbereich wird dann für solche Veranstaltungen gern genutzt, weil er schon so ausgestattet ist, dass man fast nichts mehr zusätzlich anmieten muss. Das ist bei uns in der Buchung von vornherein alles mit drin. Und die buchenden Unternehmen sind durchaus auch bereit, dieses "Rundum-Sorglos-Paket" auch entsprechend zu honorieren.

Ein sehr plakatives Beispiel habe ich selbst in einem meiner Hotels auf einer Nordseeinsel erlebt. Dort berichtete mir ein Gast, er sei wegen und mit seiner Frau, die mit MS auf den Rollstuhl angewiesen ist, einige Jahre bei uns gewesen. Dann wollte seine Frau gern einmal „woanders hin“. Dort habe sie dann aber nicht mit dem Rollstuhl an den Strand fahren können, weil es nicht (wie auf der Insel meines Hotels) stufenlose Bohlenwege bis zum Strand gab. Der damalige Urlaub war eine Enttäuschung und seit dem darauffolgenden Jahr sind sie hier Stammgast.

In der Tourismus-Branche haben wir ja so ziemlich als die Ersten gemerkt, dass Investitionen in die Barrierefreiheit sich lohnen nach dem Motto „Ein Rolli-Fahrer bringt die ganze Familie mit“. Und wie das eben erwähnte Beispiel es zeigt, sind zufriedene Gäste auch oft Stammgäste nach dem Motto „Keine weiteren Experimente mit Fehlschlägen“! Ein dritter Grund ist dann die Flüsterpropaganda über gelungene Beispiele innerhalb von Selbsthilfegruppen.

Haben Sie vielleicht auch noch ein Beispiel, welches nicht die motorische, sondern die sensorische Barrierefreiheit betrifft?

ODD: Oh ja, auch das habe ich. Aber dazu muss ich den Brief mal eben heraussuchen, denn den müssen Sie im O-Ton hören… Hier:

Hallo Herr Duck, moin,

vielen Dank für den Hinweis, dass Sie jetzt in Ihrem eigenen Hotel einen neuen Konferenzraum planen. Ihr Bericht über die Forderung einer der örtlichen Parteien, wegen der Kosten die akustische Sanierung der Stadthalle abzulehnen, ist doch wieder exemplarisch! Schon wieder stehen die Kosten als erstes Hindernis im Weg. In den Köpfen ist es einfach nicht deutlich, wenn ich es warm haben will, brauche ich eine Heizung, wenn ich eine Nasszelle haben will, brauche ich einen Wasser- und Abwasseranschluss. Wenn ich einen Raum für Sitzungen, Versammlungen, Besprechungen oder für Kindererziehung usw. haben will, dann brauche ich eine entsprechende Akustik! Keiner käme auf die Idee, Aufenthaltsräume ohne Fenster zu bauen, weil das billiger ist. Fenster sind eben nun mal nötig für Belichtung und Belüftung. Ohne geht es einfach nicht.

Und ohne gute Akustik ist ein Raum nicht richtig nutzbar. Keiner würde in einem Hallenbad oder in einer Kirche eine Besprechung mit mehreren Personen halten wollen und solche Raumqualitäten sind schnell erzeugt. Wir haben in einem großen Nebenraum eines Klosters eine Fortbildungsveranstaltung gehalten. Das war ein Erlebnis der besonderen Art! Die Referenten waren gestresst, weil Sie sich extrem anstrengen mussten, um einigermaßen verständlich ‘rüber zu kommen. Und die Teilnehmer haben nach einer Weile einfach abgeschaltet. Das Geld für die Fortbildung war somit rausgeworfen.

Alle diese Kostenvernichtungen werden nie betrachtet, wenn es um Akustik geht! So gesehen muss man doch wohl eher fragen was ich spare, wenn ich mir eine gute Akustik erlaube!

Aus diesem Brief kommt genau das heraus, was ich eingangs sagte: Jeder fragt, was Barrierefreiheit kostet, aber kaum einer macht sich klar, was Barrierefreiheit einbringt bzw. einspart. In diesem Sinne werde ich demnächst in Bezug auf das Hören und das Zuhören noch einmal „ganz weit vorne“ anfangen. Ein paar Goldtaler habe ich ja noch zur Verfügung. Bis die Maßnahme ihre finanzielle Wirkung richtig zeigt, wird es aber wohl noch eine Generation dauern; das erleben dann meine Erben und die Stadt kann mir dann ja gerne ein Denkmal setzen.

Das klingt spannend, insbesondere die Formulierung „ganz weit vorne“.

ODD: Das ist auch spannend, weil auch für mich noch einmal wieder Neuland. Neben dem Hotel ist ein kleines Wäldchen und dahinter habe ich zwei Grundstücke gekauft. Auf dem kleineren soll ein Kindergarten gebaut werden. Wir haben unter den Mitarbeitenden viele junge Familien, auch viele mit internationaler Herkunft, und dann ist der Weg vom Kindergarten zum Arbeitsplatz nicht weit. Hier will ich der Stadt mal zeigen, was man mit guter Akustik im Kindergarten und in deren Speiseraum erreichen kann. Ich habe mehrere Forschungsberichte gelesen, die wahre Wunderdinge über das Verhalten der Kinder berichten. Das möchte ich als erstes ausprobieren. Auch eine Wald-Gruppe soll dann dort möglich werden.

Auf dem größeren Grundstück wird dann eine entsprechende Schule entstehen, nicht als Ersatz für die städtischen Schulen, sondern als Ergänzung. In einer norddeutschen Großstadt habe ich erlebt, wie eine akustisch sehr gut ausgestattete Schule binnen Kurzem einen ganz besonders guten Ruf hatte, bei Schülern und deren Eltern, aber auch und insbesondere bei den Lehrkräften. Hier bewerben sich ständig deutlich mehr, als Plätze zur Verfügung stehen. Die Arbeitsbedingungen sind nämlich besonders günstig. Deshalb leidet diese Schule nicht unter Mangel an guten Pädagogen. Der dort tätige Akustik-Berater hat mir die Zusammenhänge erläutert, die ich der Einfachheit halber so aufliste, wie er sie mir benannt hat. Sie können dann ja überlegen, was Sie daraus in der Druckfassung erwähnen wollen:

Gute (nachhallarme) Raumakustik

  • gewährleistet/vereinfacht die Sprachverständlichkeit
  • mindert Lärm und Störgeräusche (Kneipeneffekt)
  • vermeidet durch wohnortnahe Beschulung Fahrtkosten für Kinder, die sonst ein Förderzentrum besuchen müssten
  • verringert Stress, besonders bei den Pädagogen
  • verringert Blutdruck-Anstieg
  • verringert Anstieg der Pulsfrequenz
  • verbessert den Umgang miteinander
  • verbessert den Lernerfolg
  • vermeidet laute Reaktionen (z. B. bei Autismus)
  • verringert Gefahr der Lärm-Schwerhörigkeit (z. B. in Sporthallen)
  • verringert Gefahr des lärmverursachten Tinnitus
  • verringert die Sprech-Anstrengung und Stimmerkrankungen
  • verringert deshalb den Krankenstand bei Lehrer*innen und Schüler*innen
  • verlängert dadurch die Lebens-Arbeitszeit der Lehrkräfte
  • spart deshalb Geld

Nur jede vierte Lehrkraft erreicht das Regel-Rentenalter. Tinnitus, Burnout und lärmverursachte Schwerhörigkeit sind die häufigsten Gründe für die Frühberentung von Lehrern, im Mittel mit 63,5 Jahren; in der Statistik verstecken sie sich hinter der Bezeichnung „psychosomatische Beschwerden“. Eine bessere Raumakustik kann also dem Lehrermangel abhelfen.

Dass sich solche Maßnahmen gesamtwirtschaftlich lohnen, hat der Akustiker in einer Überschlags-Rechnung ermittelt: Die Dauer der vorzeitigen Berentung von 63,5 bis 67 beträgt etwa 42 Monate. Eine akustische Klassenraum-Sanierung kostet etwa so viel wie drei durchschnittliche Ruhegehälter von 3.200,-€. Könnte die betreffende Lehrkraft allein wegen der besseren Schall-Situation bis zur Regel-Altersgrenze arbeiten, würde man den Betrag von 39 Ruhegehältern einsparen. Davon könnte man weitere 13 Klassenräume sanieren. Darüber hinaus hätte man in diesem Zeitraum eine Lehrkraft mehr zur Verfügung. Die besseren Ausbildungs-, Berufs- und Verdienstchancen der Kinder, verbunden mit wiederum höheren Steuereinnahmen, und auch die geringeren Kosten für die Krankenkassen sind weitere positive Effekte. (ODD: Der Akustiker hat hier genau meine Art und Weise zu rechnen angewendet. So muss man es betrachten, auch wenn die Kinder die höheren Steuern erst in 20 Jahren abführen.)

Auf der „Empfängerseite“ wird beim schlechten Verstehen meistens nur an Kinder mit Hörschädigung gedacht. Tatsächlich sind auch Kinder mit AVWS, ADHS usw. sowie alle Kinder betroffen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, ebenso wie deutsche Kinder im Fremdsprachen-Unterricht! Darüber hinaus ist auch jede vierte Unterrichtende im Alter oberhalb von 50 Jahren von Schwerhörigkeit betroffen. Deshalb ist der Bedarf an verstehgerechter Raumakustik in jedem Klassenraum (und Fach-Klassenraum) vorhanden und nicht ausschließlich in den sogenannten I-Klassen. Das will ich ganz explizit ausprobieren!

Das klingt so interessant und spannend, dass ich die gesamte Erläuterung mit aufnehmen werde! Herr Onkel Dagobert, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses ausführliche und hochinteressante Gespräch. Und ich hoffe sehr, dass Sie auch noch selbst den Erfolg von Kindergarten und Schule erleben können. Vielen Dank!

ODD: Ich danke Ihnen ebenfalls. Für mich war es schön, einen so interessierten Zuhörer zu haben, der mit mir und nicht über mich spricht.