Was ist das Besondere daran?
In jedem Raum kann man irgendwie hören, aber ist damit jeder Raum auch schon hörgerecht? Nein, mit „hörgerecht“ bezeichne ich Räume, in denen Jede und Jeder – gleichgültig ob gut- oder schwerhörend – entspannt zuhören und vor allem auch verstehen kann. Auch diese Anforderung sollte eigentlich in allen Kindertages-Einrichtungen, Schulklassen, Hörsälen und Seminarräumen, Konferenzräumen nach Raumgruppe A4 aber auch Kinos und Theatern in der Raumgruppe A3 erfüllt sein. In Deutschland gibt es schätzungsweise 200 Akustik-Ingenieurbüros für baulichen Schallschutz, Geräusch-Immissionsschutz, Fahrzeugakustik, Lärmminderung an Maschinen, Beschallungstechnik, Hörakustik, Wasserschall, Ultraschall, musikalische Akustik und eben auch etliche davon für Raumakustik. Alle letztgenannten Kollegen planen die Raumakustik der oben genannten Raumarten nach der für Deutschland verbindlichen DIN 18041:2016:03 Hörsamkeit in Räumen, schließlich ist sie eine "allgemein anerkannte Regel der Technik".
Warum wird dann aber immer wieder behauptet, dass man in den von mir betreuten Räumen besonders gut und entspannt zuhören könne (und dann – zum Glück – auch bestätigt)? Die Zusammenhänge sind so einfach, dass man sie kaum glauben mag (und deshalb leider auch noch immer nur selten befolgt). Stellen Sie sich einen Raum in der Form eines „Schuhkartons“ vor: jeweils zwei Flächen stehen sich parallel gegenüber.
In diesem Raum wird ein Schallimpuls erzeugt (mit einer Starterklappe, einem platzenden Luftballon oder klatschenden Händen). Danach hört man, wie das Schallsignal
abebbt. Und wenn der Pegel um 60 dB leiser geworden ist, dann ist nach Norm-Definition die Nachhallzeit herum. Der Schallimpuls breitet sich zunächst als Kugel-Schallwelle durch den Raum aus
und trifft dann auf die vier Wände, die Decke und den Fußboden. Dort wird er zum Teil absorbiert (durch Reibung in Wärme umgewandelt) und zum Teil reflektiert. Der Nachhall ist nichts anderes als
die Überlagerung der vielfältigen Schallreflexionen vertikal, quer und längs. Wird nun z. B. die Decke hochgradig schallabsorbierend verkleidet (das ist meistens die erste
Maßnahme), dann sind die vertikalen Schall-Reflexionen sehr schnell abgebaut.
Die horizontalen Schall-Reflexionen in Quer- und Längsrichtung bleiben aber deutlich länger im Raum. Mit nur einer schallabsorbierenden Decke wird
in solch einem "Schuhkarton" weder eine gleichmäßige räumliche Verteilung der Absorptionsflächen noch eine gute Diffusität des
Schallfeldes nach DIN EN 12354-6 erreicht. Die Schall-Reflexionen in Querrichtung sind in den Fällen nicht
ganz so schlimm, wo die Fassade durch Pfeiler gegliedert ist. Hier gibt es diffuse Schall-Streuungen. Aber häufig
pendeln die Schall-Reflexionen in der größten Raumdimension (der Längsrichtung) als sogenannte „Flatterechos“ etliche Male hin und her. Unter der flacher verlaufenden Geraden im rechten Teil des
nebenstehenden Diagramms kann man die vielen Flatterechos gut erkennen. Sie machen das Zuhören und Verstehen sehr schwer. Könnte man sie beseitigen, dann wäre die Nachhallzeit kürzer und das
Zuhören viel einfacher.
Wie sich so etwas anhört, können Sie im Abschnitt über Raumakustik erleben, wenn Sie dort das Video von 2018-10 "genießen". Dort hat der Bauleiter in einer 20 m langen Sporthalle (mit einer hervorragenden Decke) einen Luftballon platzen lassen. Beinahe kann man mitzählen, wie oft die Echos zwischen den beiden Stirnwänden hin und her pendeln.
Die Abhilfe ist technisch ganz simpel und wird hier bereitwillig und ohne Urheberrechts-Ansprüche (zum Vorteil vieler hunderttausend Hörerinnen und Hörer in den verschiedensten Räumen) beschrieben:
Wenn man an der „Rückwand“ (also der Wand, welche sich der Sprecherposition gegenüber befindet) ein hochgradig schallabsorbierendes Wandpaneel anbringt, dann sind diese Reflexionen in maximal 0,3 s abgebaut und „verschwunden“. Und damit ist die Raumakustik „hörgerecht“ (zuhör-gerecht)! Genau genommen ist das nichts Anderes, als auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach der Norm zur Nachhallzeit-Berechnung DIN EN 12354-6 zu achten. Allerdings muss man dann diese Maßnahme auch beim Bauherrn durchsetzen! Christian Nocke hat 2015 in einem Vortrag beim DIN sehr treffend gesagt:
Es gibt kein Erkenntnisproblem.
Es gibt nur ein Umsetzungsproblem.
Sinnvoll ist in Konferenzräumen (und auch in Schulen) ein Teppich-Bodenbelag. Der schluckt zwar gar nicht so viel Schall wie man oft meint, aber er vermeidet ganz viele Störgeräusche. In Bezug auf die Allergene in Teppichböden lesen Sie bitte die Studie aus dem Raumakustik-Downloadbereich, welche der Deutsche Allergiker- und Asthmatiker-Bund 2005 erstellen lassen hat.
Vor einiger Zeit bekam ich von einem Freund (mit beidseitiger CI-Versorgung) aus Wiesbaden eine E-Mail, nachdem er in Vertretung für mich an einer Sitzung bei der
BAR in Frankfurt teilgenommen hatte:
Ich wollte mir bei unserem Ortsverein eine FM-Anlage ausleihen, aber es war keine da. Ich musste also ohne elektroakustische
Hilfen los. Bei der Konferenz habe ich mich dann gewundert, wie gut ich dort auch ohne FM-Anlage zuhören und verstehen konnte. Nach der Sitzung habe ich das Frau Dr. … mitgeteilt. Sie hat mich
angelacht und gesagt: „Na ja, wir haben ja auch Alles so eingebaut, wie Herr Ruhe es uns vorgeschlagen hat!“ Das musste ich Dir gleich noch heute Abend berichten.
Zwei ausführliche Texte zu den hier genannten raumakustischen Maßnahmen habe ich zum "Tag des Hörens" 2017 für die Broschüre "Besser hören für Alle" des Vereins "Hören ohne Barriere e.V." erarbeitet. Dort sind sie aus Platzgründen stark gekürzt, hier aber vollständig:
Hörgerechte Räume und Raumakustische Verbesserungsvorschläge
Anschrift:
Rethwisch 10 25497 Prisdorf
Kontakt:
Tel.: 04101 79 37 56
Mail: post(@)carsten-ruhe(.)de
Steuer-Nummer:
UStID.: DE134438564