Wie erreiche ich in der Akustik den ganzen Menschen?

In die Zeit der Abfassung meiner Diplomarbeit 1976 fällt eine Begebenheit, an die ich mich sehr genau erinnere und die für meine Tätigkeit als Akustiker, insbesondere als Kirchenakustiker, unheimlich beeindruckend war. In unserem Institut für Nachrichtentechnik war Prof. Dr. Manfred Schroeder vom 3. Physikalischen Institut der Universität Göttingen eingeladen. Er sprach über den damaligen Kenntnisstand bei der elektronischen Spracherkennung und über die vielen Versuche hierzu. Darunter war einer, bei denen man die Testpersonen mit Kopf-Elektroden für Hirnstrom-Messungen ausgestattet hatte, um ihnen dann Sprachsignale vom Tonband vorzuspielen und sie gewisse Aufgaben lösen zu lassen.

Eine Aufgabe bestand z. B. darin, dass die Testpersonen die gehörten Sätze möglichst fehlerfrei aufschreiben sollten. Zur großen Überraschung stellte man fest, dass bei Rechtshändern zu etwa 80 % lediglich die linke Gehirnhälfte tätig war, während bei Linkshändern nicht ganz so ausgeprägt zu etwa 60 % die rechte Gehirnhälfte aktiv war. Spielte man denselben Testpersonen dieselben Sätze vor, gab ihnen aber die Aufgabe, nicht den Satzinhalt, sondern die Satzmelodie zu notieren, so war schlagartig die jeweils andere Gehirnhälfte aktiv. Bei 80 % der Rechtshänder also die rechte und bei 60 % der Linkshänder die linke.

Man konnte also aus diesen Versuchen in Übereinstimmung mit vielen anderen ableiten, dass beim analytischen Denken nur ein Teil des Gehirns arbeitet, während beim ganzheitlichen Betrachten der andere Teil in Funktion ist. Der Zusammenhang mit akustischen Phänomenen war für mich (als Ehemann einer Kirchenmusikerin) deshalb so erstaunlich und bemerkenswert, weil sich hierbei die Sprache und die Musik widerspiegeln. Wenn man beide Gehirnhälften und damit den ganzen Menschen erreichen will, ist es also notwendig, zu sprechen und gleichzeitig Musik zu machen, also zu singen.

Mal ehrlch:
Von wie wenigen Predigten hatten Sie schon einen Ohrwurm aber von wie vielen Liedern?

Hierzu passt dann auch der Ausspruch, der Augustinus zugeschrieben wird:

Bis orat, qui cantat. Doppelt Betet, wer singt.


Ansicht beider Gehirnhälften von oben

Der obige Text bescheibt ein Erlebnis von 1976, den folgenden Text habe ich 2019 aus einer Zeitschrift entnommen:

Ein Forscherteam der New York City University (NYU) School of Medicine und des Max-Planck-Institutes für empirische Ästhetik hat neue Einblicke in die Verarbeitung von Sprache gewonnen. Beide Hirnhälften übernehmen demnach beim Zuhören gleichzeitig stattfindende, aber unterschiedliche Aufgaben. Während die linke Hemisphäre messe, wie Geräusche sich zeitlich verändern – zum Beispiel beim langsameren oder schnelleren Sprechen – (für mich ist das der Text-Inhalt), sei die rechte Seite stärker auf Frequenzänderungen ausgerichtet, die mit Veränderungen in der Tonhöhe zusammenhängen (also auf die "Musik" in der Sprache). Mit der Studie, die in der Zeitschrift „Nature Human Behavior“ erschienen ist, wollen die Wissenschaftler die grundlegenden Mechanismen der Sprachanalyse vertiefend erforschen, mit dem Hintergrund, neue Diagnose- und Behandlungswerkzeuge für Sprachstörungen zu entwickeln.