Den Neubau des Klosters in Sostrup, in der Nähe von Grenå auf der Halbinsel Ebeltoft in Dänemark gelegen, durfte ich Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre akustisch betreuen. Architekt Sönnichsen aus Flensburg war der Planer. Mit dieser Beratung wurde zwar fast nichts verdient, weil ein Großteil des Honorars gespendet wurde und der Rest kaum die Kosten deckte. Der große Gewinn lag für mich einerseits in der Möglichkeit, einen Blick in eine mir zwar dem Sinne nach bekannte, tatsächlich aber völlig unbekannte Welt des Klosterlebens zu tun und andererseits auch in der Möglichkeit, einen Erfahrungsschatz für meine bau- und raumakustischen Beratungen zu sammeln, den ich in dieser Weise wohl nie wieder geboten bekommen werde. Damals erfuhren die Planer, dass dieses der erste Neubau eines Zisterzienser-Klosters seit 350 Jahren sei. Daraufhin habe ich mir überlegt, dass ich an dem nächsten dann wohl nicht mehr als Planer beteiligt sein werde.
Gegen Ende der 80er wurde Architekt Karl-Heinz Sönnichsen von August Brenninckmeyer IV (das „A“ von „C&A“) gebeten, für einen Zisterzienserinnen-Kloster-Neubau in Dänemark (eben Sostrup-Kloster) die Planung zu machen. Die jüngste Tochter von „Herrn August“, wie er sich dort immer nennen ließ (nie mit Nachnamen), ist Priorin in diesem erst nach dem Krieg gegründeten Kloster und deshalb hat er eine namhafte Menge Geld gespendet und vieles dazu gesammelt, um dieses Kloster bauen zu lassen. Sönnichsen war früher schon für C&A in Flensburg tätig und so kam es, dass er, weil „fast vor Ort“, die Planung machen sollte. Ein Mitarbeiter und der Statiker sprechen hervorragend dänisch, und zwar so, dass auch ich das verstehe, während ich bei echten Dänen nur selten ein Wort mitbekomme. Das war ein unheimlich interessantes Bauvorhaben, weil doch das Klosterleben eine ganz andere Welt bedeutet, in die man sich erst einmal hineindenken muss.
Die Klosterzellen der 26 Nonnen sind alle an langen Fluren um den Kreuzgang herum angeordnet. Da gelten immer noch die alten Bauregeln, mit Bischofszimmer, Tür,
Sterbezimmer, Tür, Kreuzgang usw. Die Zellen sind aber alle in moderner Form eingerichtet worden mit Bad, Telefon (intern) usw. und sie liegen aufgereiht an dem Flur wie die Zimmer eines Hotels.
Als wir auch die Anforderungen an den Schallschutz aus unserer deutschen Norm für „Beherbergungsbetriebe“ ableiten wollten, mussten wir uns erst einmal mit dem gleichartigen dänischen
"Bygningsreglement" befassen (weil die Bauunternehmen dänisch waren) und außerdem mussten wir uns mit der Forderung der Priorin auseinandersetzen, der Schallschutz müsse nicht nur „ausreichend
nach Norm“, sondern so gut wie möglich sein. Wir waren zunächst kräftig irritiert. (Allen Gesichtern in der Planer-Runde war die Frage anzusehen: Mädchen, Du bekommst ein Kloster geschenkt und
dann stellst du auch noch Forderungen?). Die Erklärung war dann aber so einfach und einleuchtend, dass sich alle an der Planung und am Bau Beteiligten wirklich die größte Mühe gegeben und ein
sehr gutes Ergebnis erreicht haben. „In einem Hotel wohnt man vielleicht zwei oder auch vier Wochen, und wenn es einem dort nicht gefällt, dann fährt man eben nicht wieder hin. Wir aber leben
unser ganzes Leben lang auf engem Raum mit- und nebeneinander viele Jahre lang. Junge Frauen mit spitzen Ohren und Alte, Gebrechliche und Kranke, die röcheln und schnarchen und die Mitschwestern
dadurch ungewollt beeinträchtigen. Wir fahren nicht nach vier Wochen nach Hause und beim nächsten Mal woanders hin und wir werden auch nicht mit 65 pensioniert und scheiden dann aus. Wir bleiben
bis ans Lebensende zusammen. Wenn wir hier tatsächlich in Frieden miteinander leben wollen, dann müssen die gegenseitigen Störungen so gering wie möglich sein.“ Wie gesagt, das war für uns alle
Ansporn und Denkhilfe, und das Ergebnis ist auch dementsprechend gut geworden. So beträgt z.B. das Schalldämm-Maß der Gipsfaserplatten-Wände zwischen den Klosterzellen R'w = 57 dB. Das entspricht
dem Mindestschallschutz einer massiven Reihenhaus-Trennwand.
Die Nonnen betreiben in Sostrup-Slot, nahe der Ostseeküste, einen Hotelbetrieb, daher kommen ihre Einkünfte vorrangig. Hier haben sie lange Jahre in dem Verwaltergebäude gewohnt, daneben liegt der ehemalige Pferdestall, der bisher als Kapelle diente (lang, aber niedrig, während es zum Himmel eigentlich nach oben geht, daher oft die hohen Kirchen). Ein Teil der alten Stallungen ist zu Ferienwohnungen ausgebaut worden. Man kann, so man will, an sämtlichen Horen, Vespern, Metten, Messen und wie das alles heißt, teilnehmen.
Das neue Kloster entspricht noch ganz den alten Bauregeln der Klosterbauhütte. Bei der Anordnung der Räume hatte der Architekt keinerlei Gestaltungs-Freiheit. Direkt in Angrenzung an Altarbereich und Kanzel befindet sich der „Chor“ (da vorne sitzt tatsächlich der Nonnenchor). Der Bereich hinter dem Lettner unter der Orgelempore ist der Gemeinde der Laien vorbehalten. Die Orgelempore selbst ist nur ein Gefach tief, dahinter befindet sich die Bibliothek. Herrlich, wenn man beim Lesen bisweilen auch Orgelmusik aus der benachbarten Kirche hören kann! Die Empore selbst ist dadurch aber extrem eng geplant und gebaut worden. Unser Hinweis, die Orgel doch lieber als „Schwalbennest-Orgel“ im Chorbereich über den Nonnen und damit in unmittelbarer Nähe zu ihnen anzubringen, ist zwar mit Interesse aufgenommen worden, widersprach aber den Bauregeln der Klosterbauhütte. Dann hätte sich der Spieltisch unmittelbar beim Chor befunden. Von vorne hätte sich der Schall auch viel besser bis unter die drei Gefache tiefe Empore zur Gemeinde hin ausbreiten können, als von oben. So ist die Gemeinde sehr abgeschirmt.
Zisterzienser-Klöster sind im Kirchenbereich immer sehr sparsam ausgestattet. Auch einen Kirchturm gibt es nicht, sondern nur einen kleinen Dachreiter mit zwei Glocken. Die Läuteseile sind übrigens durch das Dach hindurch bis in den Kirchenraum geführt (rechts im Foto) und werden hier von zwei Nonnen betätigt.
Nicht nur zum Schallschutz in Sostrup-Kloster, sondern auch zur Raumakustik in der Kirche konnte ich hier für meine Beratungstätigkeit sehr bedeutsame neue Erfahrungen machen. Die Nonnen haben, wie gesagt, früher ihre Gottesdienste im alten Pferdestall gefeiert, niedrig und mit einem schallabsorbierenden Strohdach. Unsere akustische Planung zielte darauf ab, die neue Kirche als „Mehrzweckraum für Sprache und Musik“ bei deutlich größerem Raumvolumen auch mit einer längeren Nachhallzeit auszustatten, um mehr Klangfülle und Klangverschmelzung zu erzeugen, dies aber nicht zu übertreiben, damit auch die Sprachverständlichkeit gewährleistet bleibt. Kurz vor der Fertigstellung war für die vorgeschlagenen Maßnahmen kein Geld mehr da und so unterblieb ein Teil des Innenausbaus. Die Kirchendecke sieht noch heute so aus wie zur Bauzeit. Als ich kurz vor der Einweihung auf der Baustelle war, da war ich hoffnungslos enttäuscht, denn die Kirche war für eine gute Sprachverständlichkeit viel zu hallig und diffus. Die Nonnen (die Dänen aus dem Ort sagen übrigens wegen der schwarz/weißen Tracht gern „Die Pinguine“) waren aber von der „guten Akustik“ begeistert.
Als ich dann meine Bedenken und meine Vorstellungen vortrug, da haben sie gelacht. Für sie ist nämlich die Sprachverständlichkeit absolut nebensächlich: „Wir singen ja auf Latein und wissen, was kommt“. Der Bischof kommt nur alle vier Wochen oder zu hohen Festen zum Predigen und dann sitzen sie im Chorraum ihm direkt zu Füßen und haben aufgrund der kurzen Abstände keine Verständigungs- und Verständnisprobleme. Der große Vorteil der (für mich zu) halligen Kirche liegt aber im Singen. Bisher mussten die Nonnen im schallschluckenden Pferdestall grölen, damit man überhaupt etwas hörte. Jetzt brauchen sie nur zu kieksen und der Raum klingt und gibt die Stimmen hundertfältig wieder. Das funktioniert natürlich nur, weil die Liturgie (abgeleitet aus der Gregorianik) als einstimmige Musik erst durch den Nachhall mehrtönig wirkt, denn die aufeinander folgenden Töne verwischen ineinander. Komponisten, die solche Kirchen in ihrer Zeit zur Verfügung hatten (z.B. Claudio Monteverdi oder auch noch Heinrich Schütz), haben solche Musik komponiert, die vom langen Nachhall getragen wird. Johann Sebastian Bach aber hat in der barocken Thomas-Kirche und auch an anderen Orten wesentlich nachhallärmere (trockenere) Räume vorgefunden. Nur so wurden seine schnellen Läufe (oder auch die Mozarts) überhaupt wahrnehmbar. In der Romantik, dem Klassizismus und der Neugotik wurden die Räume, insbesondere die Kirchen, wieder halliger. Dies kam der klangschwelgerischen romantischen Musik entgegen (oder wurden diese Räume vielleicht durch die Klangvorstellungen erst ausgelöst? Auch hier gab es sicher ein gegenseitiges Geben und Nehmen).
Wie gesagt, die Nonnen waren und sind begeistert darüber, dass die „eigentlich richtige“ Planung nicht zu Ende ausgeführt wurde, und sie werden das Geld, das sie jetzt noch erhalten, sicher anders einsetzen als zur Fertigstellung der Decke. Kaum etwas ist so haltbar wie ein Provisorium.
NS: Der Inhalt dieses Textes entspricht meinem Kenntnisstand von 1996, vier Jahre nach der Klosterweihe. Dem Internet kann man entnehmen, dass das Kloster inzwischen aufgelöst wurde und auch warum. Schade, dass das alles so gekommen ist.
Man findet dort auch Fotos, die den derzeitigen Zustand der Kirche zeigen. Die Decke wurde mit einer Holzbekleidung fertiggestellt, sodass die Kirche nach wie vor zu hallig ist. Der Orgelspieltisch wurde von der Empore nach unten verlagert, allerdings nicht (wie damals von mir vorgeschlagen) auf der rechten Seite in das Chorgestühl integriert. Statt der Orgelbank gibt es jetzt auf der Empore eine extrem enge Reihe mit Zuhörerplätzen.
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